Mein Name ist Sophie und ich bin Geschäftsleiterin des Netzwerks österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Wir sind ein Dachverband von 65 Beratungsstellen in ganz Österreich. Ich möchte heute einige Gedanken zum Thema psychische Gewalt mit euch teilen:
Viele Frauen kennen das: Der Moment, in dem man sich plötzlich ganz klein fühlt. Es sind keine Schläge, weh tut es trotzdem. Vielleicht ist es ein abfälliger Kommentar vor anderen, ein herablassender Blick oder ein „Witz“, der einen bloßstellt. Alle lachen. Vielleicht lacht man sogar mit, aus Gewohnheit. Denn die ständigen Bemerkungen über das Aussehen, die Arbeit oder die Freundinnen ist man mittlerweile gewohnt – und sie hinterlassen Spuren. Man beginnt an sich selbst zu zweifeln: Bin ich wirklich nicht gut genug?
Aber manchmal traut man sich auch zu fragen: Ist das normal? Bin wirklich ich das Problem?
Viele Frauen kommenmit einem mulmigen Gefühl, oft auch mit Zweifeln in die Frauen- oder Mädchenberatungsstelle. Und mit Fragen wie: „Ist das, was mir passiert, überhaupt Gewalt? Bin ich einfach zu empfindlich? Übertreibe ich?“
Psychische Gewalt kann zum Beispiel so aussehen:
- Abwertung: „Ohne mich wärst du nichts.“
- Kontrolle: „Warum warst du so lange weg? Zeig mir dein Handy.“
- Isolation: „Deine Familie versteht dich nicht. Nur ich.“
- Einschüchterung: „Wenn du mich verlässt, nehme ich dir die Kinder weg.“
Oft beginnt es schleichend. Ein Kommentar hier, eine Entscheidung dort, die plötzlich nicht mehr deine ist. Bis du eines Tages merkst: Du passt dich an, statt du selbst zu sein.
Viele Frauen zögern, sich Hilfe zu holen, weil sie denken: „Andere haben es schlimmer. Ich sollte mich nicht beschweren.“ Aber niemand muss Gewalt ertragen. Sie ist etwas, das dich klein macht, etwas, das dir deine Kraft nimmt – egal, ob mit oder ohne körperliche Gewalt. Auch psychische Gewalt hinterlässt Wunden.
Wenn du dich in deiner Beziehung oft unsicher, ängstlich oder wertlos fühlst, dann ist das ein Warnsignal. Du musst nicht warten, bis es „schlimm genug“ ist. Es gibt kein „zu klein“, kein „nicht wichtig genug“. Wenn etwas in dir sagt: „Das ist nicht okay“, dann hast du das Recht, dir Hilfe zu holen.
Hilfe ist da – kostenlos, vertraulich, auf Augenhöhe
In ganz Österreich gibt es ein Netz an spezialisierten Anlaufstellen für Personen, die Gewalt erfahren: Gewaltschutzzentren, Frauenhäuser und Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Egal, ob du psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebst – du bist nicht allein. In den Beratungsstellen findest du Menschen, die dich ernst nehmen. Ohne Vorwürfe. Ohne Bewertung. Du entscheidest, was du erzählst und was nicht. Du musst keinen Namen nennen, wenn du das nicht möchtest. Die Beratung ist für dich komplett gratis. Und sie ist auf dein Tempo abgestimmt: Ob ein einziges Gespräch oder Begleitung über eine längere Zeit – es geht um deine Bedürfnisse.
Es ist nicht deine Schuld.
Viele Frauen schämen sich, weil sie glauben, sie hätten zu lange gebraucht, um sich Hilfe zu holen. Oder weil sie denken, sie hätten „es kommen sehen müssen“. Doch diese Scham gehört nicht zu dir – sie gehört zu dem System, das Frauen oft einredet, sie seien selbst schuld.
Du bist nicht allein. Jede dritte Frau in Österreich erlebt in ihrem Leben psychische oder körperliche Gewalt. Jede dritte. Das ist nicht nur eine Statistik – das sind Freundinnen, Kolleginnen, Nachbarinnen, Verwandte. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Unterstützung zu holen. Im Gegenteil: Es ist ein Zeichen von Stärke.
Wenn du diesen Text liest und dich fragst: „Meint sie vielleicht mich?“ – dann vertraue diesem Impuls. Ruf an. Schreib eine Mail. Geh zu einer Beratungsstelle in deiner Nähe. Du brauchst keine Gewissheit. Du brauchst nur den Mut, dir Hilfe zu holen.
Hier erhältst du Unterstützung:
- Frauenhelpline 0800 222 555 – rund um die Uhr, kostenlos und anonym
- Frauenberatungsstellen in deiner Nähe
- Gewaltschutzzentren Österreich
Eine Beraterin wird mit dir gemeinsam durchgehen, was du gerade brauchst, wie du dich schützen kannst und welche Schritte du gehen kannst. Es geht nicht darum, dir zu sagen, was du tun sollst. Sondern darum, dir zu helfen, deine eigene Stimme wiederzufinden.